Wohnhaft in einer Kleinstadt im südbadischen Raum
Berufe: Dipl. Sozialpädagogin, freie Autorin, Kabarettistin
Nach dem Studium der Sozialpädagogik arbeitete ich in sozialen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche und in der Behindertenarbeit.
Von 2002 bis 2008 schrieb ich für die Badische Zeitung (Rezensionen).
Schon als Jugendliche wollte ich eigentlich Schriftstellerin werden.
Als ich 2002 meinen ersten Literaturpreis erhielt, ging ich es ernster an.
Die Themen „Rechtsextremismus“, „Antisemitismus“ brennen mir seit Jahren unter den Nägeln und wurden 2007 Schwerpunkt meiner literarischen Arbeit, denn:
Angesichts der Tatsache, dass die Zeugengeneration des Nationalsozialismus in wenigen Jahren nicht mehr vorhanden sein wird, müssen neue Wege gefunden werden, Jugendliche an die Zeit des Nationalsozialismus, an die Fragen von Antisemitismus und Rassismus so heranzuführen, dass sie persönliche Bezüge herstellen können. Ich versuche in meinen Projekten das Interesse für diese Themenstellungen durch kreative didaktische Methoden zu wecken. Nicht pädagogisch moralisierend, vielmehr den Schüler aus seiner Betroffenheit die entscheidenden Fragestellungen selbst entwickeln zu lassen.
Ich möchte vor allem aufzeigen, dass Rechtsextremismus nicht erst dann in Erscheinung tritt, wenn wir durch Gewaltexzesse damit konfrontiert werden. Mein Projekt will hinter Motive, Mechanismen und Strukturen blicken, die sich schon lange davor innerpsychisch und intrapsychisch entwickelt und manifestiert haben. Oft handelt es sich um subtile Faktoren, die in uns allen stecken und die es zu durchschauen gilt, um bewusst Akzente gegen antidemokratische Entwicklungen setzen zu können.
Textauszug aus „Ein Meister“:
(…) Tülein blickte nur kurz und etwas mürrisch auf, als er den Laden betrat. Die Schlagzeilen der Titelseiten passten zu seinem Blick, als hätte der Zeitungshändler sie selbst verärgert geschrieben. Josef legte das Geld auf den Tresen, klemmte die Zeitung unter den linken Arm und ging wortlos nach draußen. ‚Der Tod ist ein Meister aus Deutschland‘ , las er im Hinausgehen an einem Zeitungsständer und fühlte sich unbehaglich, nein, mehr noch, als würde er gleich verhaftet werden für eine Tat, die bereits mehr als ein Jahr zurücklag. Er setzte sich auf eine Bank, die von einem ansässigen Wirtschaftsunternehmen gestiftet worden war. Jetzt konnte er lesen, dass es sich bei der Schlagzeile, die ihn so erschreckt hatte, um den Titel eines Historikers handelte, der einen Bericht über das NS-Regime unter besonderer Berücksichtigung von Zeitzeugen geschrieben hatte. Josef stöberte nach Erleichterung, aber das Unbehagen blieb. Es war letztlich egal, wie ein Mensch starb, wenn ein anderer daran Schuld trug. Natürlich war der Genozid ein Verbrechen, mit dem er sein Verhalten nicht messen musste. Aber tot ist tot, zumindest vom Ergebnis her. Nicht rückgängig zu machen und deshalb machte ihn ein derartiger Vergleich nicht fröhlicher. Er schaute nach der Uhrzeit, warf die Zeitung in einen Papierkorb, der neben der Bank stand, und machte sich auf den Weg zum Blumenladen.
Das Friedhofstor quietschte, als er es öffnete. Beinahe amüsiert nahm er es wahr, angesichts der Grabesstille. ‚Das bisschen Leben knarrt‘, ging es durch seinen Kopf. Marthas Grab war das erste gleich nach den Kinder- und Säuglingsgräbern. Sie hatte Kinder immer geliebt. Trotzdem war sie nie schwanger geworden. Vielleicht hätte es eines Tages geklappt, wenn er nicht immer die Freesien vergessen hätte. Frau Winterhalter wechselte gerade die Kerze in einem der roten Glasbehälter aus und stellte ihn auf eine Marmorplatte. Nach zwei Minuten andächtiger Stille trat sie ein paar Schritte auf Josef zu. „Freesien, wie schön“, flüsterte sie. „Wussten Sie, dass es Blumen des Trostes sind? Sie haben eine wunderbare Zartheit…“, fügte sie andächtig hinzu. Josef wusste nichts darauf zu antworten und zupfte stattdessen ein paar Gräser. ‚Der Tod ist ein Meister aus Deutschland‘, schoss es ihm penetrant weiter durch den Kopf. ‚Wie viele Freesien hätte es wohl für die Toten des NS-Regimes gebraucht?‘ Er stellte diese Frage unvermittelt. ‚Die Blumenbesitzer dieser Stadt würden Millionäre werden.‘ Josef war es peinlich, dass seine Überlegung mit solch einer kommerziellen Groteske überfrachtet wurde. Andererseits, wie praktisch es doch wäre, wenn man sich so freikaufen könnte. Er ging zur Pumpanlage, füllte eine Gießkanne mit Wasser und stellte sie, ohne weiteren Gebrauch davon zu machen, an der Grabsteinkante ab.
Weitere Informationen zu meiner Arbeit
finden Sie auf meiner Website:
www.brigitte-seidel.de