
- Verlag: BoD Books on Demand
- Erhältlich in: Paperback
- ISBN: 978-3-7504-3284-0
- Veröffentlicht: 2. Februar 2020
Selbst in den engen Strukturen des katholischen Milieus der Nachkriegszeit aufgewachsen, erzählt Rea Gorgon authentisch die Geschichte von Paula Feldmann, die als Erwachsene ihren Namen in Ana Medusa umwandelt. Paula ist als Kind und Jugendliche in der Familie sexuell missbraucht worden.
Zur eigenen Entlastung ging das Kind einmal im Monat zum Beichten in die Kirche. Der Priester war an sein täterschützendes Schweigen gebunden. Später wird Benno Klamm sagen, auch er habe gebeichtet. Im Alter von 18 Jahren verließ Paula Familie und Heimat in dem unwissenden Glauben, alles sei nun vorbei.
Als Erwachsene konfrontierte sie im Lauf weniger Jahre den Täter mit seinem Verbrechen, ebenso die ahnungslose Mutter und die restliche Familie. Als die Mutter stirbt, ist Ana erneut im Zusammenhang mit den kirchlichen Beerdigungsritualen mit dem Täter konfrontiert, der ihr zu nahe kommt.
Diesen tabubrechenden Prozess, der in den 1980er-Jahren begann, schildert die Autorin in ihrer Großerzählung mit allen Schwierigkeiten und auch Erfolgen.
Zentrum dieser Erzählung ist die Überwindung von Schweigen und Herstellung von Gerechtigkeit. Die Autorin spricht und bezieht Stellung, auch zur derzeit herrschenden Gesetzgebung, die sie anwendet, um ihr eigenes Urteil über den Täter zu sprechen, da seine Verbrechen an Paula bereits verjährt sind. Dabei erfährt auch die Problematik von Vergebung eine differenzierte Reflexion.
Auf der Suche nach der einstigen verlorenen Heimat führt sie die Überwindung von Schweigen ins Stadtarchiv der Heimatstadt. Hier findet sie Dokumente, die auf andere Opfer und Täter der Vergangenheit verweisen. Sie entdeckt die Akten zwangssterilisierter Männer und Frauen. Weitere Zeugnisse geben Auskunft über den damals hier lebenden KZ-Lagerarzt Franz von Bodmann und über den französischen Faschistenführer Jacques Doriot.
Auch erinnert sich Ana alias Paula an Chaim Morgenthau, der während ihrer Kindheit nur drei Straßen entfernt gelebt hat. Dass er eine Nummer am Arm trug, die er seinen Nachbarn immer wieder zeigte, gehörte ebenfalls zu den Geheimnissen, die im allgemeinen großen Schweigen lagerten.
Einmal wird die Mutter, die zwischenzeitlich im Altersheim lebt, grob behandelt. Dann schreit sie, sie sei doch kein Judengaul. Ana findet im Internet ein Buch mit selbigem Titel. Vor ihrem Tod erzählt die Mutter, ihr Großvater Conrad sei 1938 in der Heil- und Pflegeanstalt verdurstet. Er ist vom Personal aktiv getötet worden. In Mutters Nachlass entdeckt Ana schließlich einen Stapel katholischer Sterbebilder. Sie erinnern an viele männliche Familienmitglieder, die in zwei Weltkriegen umgekommen sind und Mutters Familie schmerzhaft dezimiert haben.
Während der Recherchen werden Ana die ungelösten Verstrickungen ihrer Nachkriegs-familie bewusst. Im Schweigen der Eltern über die Zeit des Nationalsozialismus und des Krieges verbargen sie ihr Wissen um Täter ebenso wie ihr Wissen um Opfer. Wie sollte vor diesem Hintergrund Mutter Maria Walburga ihrer sexuell missbrauchten Tochter glauben und zu ihr stehen können?
Am Ende thematisiert Ana das heikle Thema von Schuld, Sühne und Vergebung, das die gesamte Erzählung durchzieht. Ein lesenswertes Buch, das in Zeiten von Fake-News und Lügen der Wahrheit verpflichtet ist.